Gottesdienste und Predigten - - Erstellt von Pfarrerin Claudia Krüger

Die Worte Jesu am Kreuz

Karfreitag ist eine Zumutung. Wir sind gezwungen, uns mit dem Kreuz, mit Schmerzen und Demütigung auseinander zu setzen. Und dazubleiben, wie die Frauen unterm Kreuz

Liebe Gemeinde,

Karfreitag ist eine Zumutung. Wir sind gezwungen, uns mit dem Kreuz, mit Schmerzen und Demütigung auseinander zu setzen. Und dazubleiben, wie die Frauen unterm Kreuz, auch wenn Leid und Tod uns Angst machen und uns eben auch an unsere eigene Sterblichkeit und Verletzlichkeit erinnern.

Dableiben – vielleicht können wir es aber doch versuchen, weil wir am Karfreitag erfahren, dass Gott selbst auch da geblieben ist. Weil er seinem Sohn im tiefsten Elend nicht nur einen Engel geschickt, sondern ihn selbst begleitet hat. Am Karfreitag sollen wir erkennen, dass Gott da bleibt – in jeder Not, und dann können wir vielleicht, wie er, dableiben und mit aushalten, wenn Menschen Leid und Elend erleiden. Ich weiß wohl, wie schwer das manchmal ist. Und selbst die Jünger sind damals im Garten, in der Nacht geflohen. Und unter dem Kreuz hielten es nur noch wenige aus. Aber vielleicht sollten wir den, der da hing, bitten, dass er uns die Kraft gibt zu bleiben, auch dann, wenn es unsagbar schwer wird.

Karfreitag – wir werden nie begreifen, warum es das Leid gibt, aber wir können gerade am Karfreitag den erkennen, der durch sein eigenes Leid allen Leidenden nahe ist – und so zutiefst glaubwürdig wird.

Dieser eine bleibt und leidet bis zum Ende – und in ihm leidet der Mensch gewordene Gott – er geht in den tiefsten menschlichen Abgrund hinein – und führt uns doch zuletzt aus dem Abgrund heraus.

Zeichen für diese Nähe Gottes zu uns Menschen sind Jesu letzte Worte, die er in den Evangelien am Kreuz noch gesprochen hat. In einer Situation, wo es uns Menschen die Sprache verschlägt. Gerade in diesen letzten Worten hören wir einen Klang, einen göttlichen Klang, der uns eine andere Welt ahnen lässt, und der uns glauben hilft, dass uns im letzten Moment nicht das abgrundtiefe Nichts erwartet, sondern die Liebe Gottes, von der uns nichts – auch nicht der Tod – jemals trennen kann. Und dass uns einmal ein Zuhause erwartet, in welchem wir für immer geborgen sind. Die Worte Jesu leiten hinüber in die Welt Gottes, sie sind wie eine Brücke zwischen hier und dort.

Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. Jesus aber sprach: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

Wer von uns könnte so gequält noch ein Wort der Vergebung finden. Wer könnte gar noch für andere bitten, die dieses tiefste Elend und den eigenen Tod verschuldet haben.

Im Augenblick des Todes würde uns vielleicht eigene Schuld bewusst – und wer hätte die nicht – all das, was wir versäumt und verschuldet haben in unserem Leben. Wenn dann aber einer für mich eintreten würde und sagte: „Vater, vergib ihr, vergib ihm – dann ahne ich, was „Versöhnung“ bedeuten kann: was dieses schwierige „für mich“ am Karfreitag heißen könnte: versöhnt und von Schuld und Last befreit, hinüber gehen können in die andere Welt Gottes.

Einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, sprach: Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsere Taten verdienen, dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Und er sprach: „Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!“

Jesus sprach zu ihm: „Wahrlich, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“

In Jesu Nähe erkennt einer der Mitgekreuzigten, was Recht und was Unrecht ist. Er sieht seine Schuld ein und erkennt in der Strafe die Gerechtigkeit.  Bei vielen Menschen aber ist es ganz anders. Sie sterben zu Unrecht in Gefängnissen von Gewaltregimen. Und sie müssen das Gefühl von himmelschreiender Ungerechtigkeit mit in den Tod nehmen und auf die endgültige Gerechtigkeit Gottes, das letzte Gericht, noch warten bis ans Ende der Tage. Müssen warten auf den Tag, an dem endlich die Mörder nicht mehr über ihre Opfer triumphieren.

Hier aber erkennt ausgerechnet der Verbrecher, dass nach dem Tod die Herrschaft Jesu nicht aufhört: „Vergiss mich nicht, wenn du in dein Reich kommst.“ Ausgerechnet der Verbrecher erfährt, dass der Tod ihn nicht von Jesus trennen wird: „Heute noch wirst Du mit mir im Paradies sein.“ In der Himmlischen Heimat, wo deine Seele Heil findet, wo es kein Leid und keinen Tod und keine Tränen mehr gibt.

Könnten wir doch vertrauen, wie dieser Verbrecher neben Jesus am Kreuz!

„Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter. „Frau, siehe, das ist dein Sohn!“ Danach spricht er zu dem Jünger. „Siehe, das ist deine Mutter!“

Zunächst ist da nur sprachlose Ohnmacht der Liebenden unter dem Kreuz. Jesus aber spricht sie alle an, denen die Stimme in der Todesstunde eines geliebten Menschen versagt. Er führt aus der schweigenden Erstarrung, der lähmenden Stille heraus – und weist sie einander zu. Und sie nehmen einander wahr- den einsamen Freund, die weinende Mutter. In äußerster Verzweiflung erfahren sie: noch hier unter dem Kreuz stiftet Gott neue Beziehungen, noch hier beginnt der Trost: Denn Gott öffnet uns die Augen und Herzen füreinander, auf dass die Liebe niemals aufhört – bei keinem Tod. So nimmt er dem Tod die äußerste Macht, nämlich die der absoluten Verlassenheit und Beziehungslosigkeit. „Seht einander an, seid füreinander da und lasst so meine Liebe unter euch weiter leben – gestärkt durch den Tröster, den heiligen Geist.“

Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: „Eli, Eli, lama asabtani?“ das heißt: mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Wenn Jesus in Gottverlassenheit schreit, und neben mir bleibt in meiner eigenen Gottverlassenheit, wenn aber der, der da leidet und stirbt, mein Gott ist, Gottes Sohn, eins mit dem Vater, und er bei mir bleibt bis ans Ende aller Tage, dann gibt es keine Einsamkeit mehr, die ganz und gar gottverlassen ist.

Jesus drückt in diesem Schrei das Gefühl absoluter Gottverlassenheit aus, und gleichzeitig ruft er nach Gott. Und wer ruft, der ahnt, dass da allem zum Trotz noch einer ist, der mich hört. Der Einzige wohl, der mich jetzt noch hören könnte.

Auch die allerletzte Gottverlassenheit hat Jesus nicht ausgespart. Und so gibt es keinen menschlichen Abgrund mehr, in welchem er uns nicht verbunden bliebe. Sein Warum verbindet ihn mit all unseren unbeantworteten Fragen nach dem Warum. Verbindet ihn mit dem, was wir manchmal fast nicht mehr aushalten können –  und das dann gipfelt in der Frage: „Warum, warum, wenn er es doch könnte, verhindert er das Leid nicht?!“

Es gibt Momente, in denen auch mir als Pfarrerin diese Frage auf den Lippen brennt. Momente, in denen  ich laut über den Friedhof hätte schreien können – meine Klage, meine Fragen, meinen Protest am Grab eines jungen Menschen, meine Trauer angesichts so tiefen Leides, aber auch angesichts dessen, was Menschen einander antun.

Und ich bin froh, wenn ich dann noch sagen kann: „Mein Gott!“ und noch ahnen oder hoffen kann, dass sich nicht der Abgrund der Sinnlosigkeit auftut, sondern dass einmal meine Fragen eine Antwort finden und der, den ich anrufe, die Macht hat, am Horizont, hinter den Gräbern eben doch noch die Ostersonne aufscheinen zu lassen. Dass auch die, die schon gegangen sind, aufgehoben sind in seinem Licht und in den Armen unseres liebenden Gottes.

Da sprach Jesus: „Es ist vollbracht!“

Und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang im Tempel riss mitten entzwei. Und Jesus rief laut: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ Und als er das gesagt hatte, starb er.

Jesus geht den Weg zu Ende. Ganz am Ende aber übergibt er voll Vertrauen seinen Geist in die Hände seines und unseres Vaters. Ja, wenn wir das könnten, wenn wir in der Todesstunde unseren Geist den liebevollen Händen Gottes anvertrauen könnten. Und dann für alle Zeit in ihm geborgen sind. „Es ist vollbracht.“ Es ist alles getan. Der Weg ist frei zu Gott. Und: „Wenn ich aber erhöht werde von der Erde“, so hat Jesus versprochen, „dann werde ich alle zu mir ziehen.“  Kräftig. Alle. „Und niemand wird sie je aus meiner Hand reißen.“ In diesem Wort ist ein Klang von ewigem Zuhause-Sein, von Liebe, von Freiheit, von Gelassenheit und von großer Kraft. Mögen wir diesen Klang hören, dass er uns tröste und ermutige. Jeden Tag. Amen.